Kapitel 6: AlltagAn dieser Stelle ist die Anleitung in der grundlegenden Technik formaler Meditationspraxis vollständig. Die Lehren in den vorangegangenen Kapiteln sind genug für einen Anfänger, sich auf den Weg zu machen, die Realität so zu verstehen, wie sie ist. In diesem Schlusskapitel werde ich einige Wege diskutieren, die Meditationspraxis ins tägliche Leben zu integrieren, so dass man auch dann, während man nicht formal meditiert, immer noch ein Grundniveau an Achtsamkeit und klarer Geistesgegenwart beibehält.
Zunächst ist es notwendig, Aktivitäten zu diskutieren, die für die geistige Klarheit schädlich sind; Aktivitäten, welche man vermeiden muss, damit Meditation anhaltende positive Resultate bringt.
Wie ich im ersten Kapitel erklärt habe, ist "Meditation" das geistige Äquivalent zu "Medizin". Wenn man Medizin nimmt, gibt es eine Substanzen, die man vermeiden muss; Substanzen, die die positiven Effekte der Medizin entweder zunichte machen werden oder, schlimmer noch, in Kombination mit der Medizin giftig wirken. Ebenso in Bezug auf die Meditation gibt es bestimmte Aktivitäten, die aufgrund ihrer Tendenz, den Geist zu vernebeln, das Potential haben, entweder die Effekte der Meditation zunichte zu machen oder, schlimmer noch, das Verständnis der Meditation zu pervertieren, wodurch man unheilsame Geisteszustände kultiviert anstatt heilsamer.
Meditation ist dazu beabsichtigt, Klarheit und Verständnis zu kultivieren, frei von Sucht, Abneigung und Verblendung, und daher frei von Leid. Da einige körperliche und geistige Aktivitäten unzertrennlich mit negativen Geistesqualitäten verbunden sind, werden sie als "im Widerspruch" zur Meditationspraxis angesehen; sie haben einen Effekt entgegengesetzt zu dem erwünschten, kultivieren Verunreinigung anstatt Reinheit. Meditierende, die darauf bestehen, sich in solcherlei Verhaltensweisen zu ergehen, werden große Schwierigkeiten in ihrer Praxis haben, Gewohnheiten entwickeln, die zum Nachteil sind sowohl für ihre Meditationspraxis als auch für ihr persönliches Wohlergehen. Um sicher zu gehen, dass der Geist vollkommen klar und fähig ist, die Realität zu verstehen, müssen bestimmte Verhaltensweisen aus der "Diät" gestrichen werden, so zu sagen.
Zunächst sind da fünf Arten der Handlungen zu nennen, von welchen man völlig Abstand nehmen sollte, da sie anlagebedingt und unheilsam sind^1:
1.
Man muss sich davon enthalten, lebende Wesen zu töten. Um das eigene Wohlergehen zu kultivieren, muss man sich dem Wohlergehen als Prinzip widmen, davon abstehen, irgendein Lebewesen zu töten, sogar Ameisen, Mücken und so weiter.
2.
Man muss sich vom Diebstahl enthalten. Um inneren Frieden zu finden, müssen wir ihn anderen ebenso zugestehen; Stehlen ist ein eine Verweigerung dieses Grundanrechts auf Sicherheit. Wenn wir außerdem von Sucht frei werden wollen, müssen wir fähig sein, unser Verlangen in dem Maße unter Kontrolle zu halten, dass wir den Besitz anderer respektieren.
3.
Man muss von Untreue und sexuellem Fehlverhalten abstehen. Romantische Beziehungen, die emotional oder spirituell schädlich für andere sind, aufgrund existierender Bindungen der beteiligten, sind Ursache für Stress und Leid und begründet in {{{Perversionen des Geistes}}}.
4.
Man muss sich vom Lügen enthalten. Wenn man wünscht, Wahrheit zu finden, muss man Falschheit vermeiden; absichtlich andere von der Wahrheit weg zu führen, ist gefährlich für einen selbst ebenso wie für die anderen und inkompatibel mit den Zielen der Meditation.
5.
Man muss sich des Konsums von Drogen und Alkohol enthalten. Jede Substanz, die den Geist vergiftet, ist offensichtlich kontraindikativ zur Meditationspraxis, da sie die Antithese zu einem natürlichen, klaren Daseinszustand darstellt.
Vollständige Abstinenz von diesen Aktivitäten ist notwendig, wenn man Erfolg in der Meditationspraxis wünscht, aufgrund ihrer inhärent unheilsamen Natur und der unabänderlich negativen Auswirkungen, die sie auf den Geist haben.
Weiterhin sind bestimmte Aktivitäten zu nennen, die
gemäßigt werden sollten, damit sie nicht die Meditationspraxis beeinträchtigen. Dies sind Aktivitäten, die nicht notwendigerweise unheilsam an und für sich sind, aber nichtsdestotrotz geistige Klarheit behindern und den Nutzen der Meditationspraxis verringern, wenn sie im Exzess unternommen werden.^2
Eine dieser Aktivitäten ist das Essen; wenn man wünscht, in der Meditationspraxis wirklich voran zu kommen, muss man darauf achten, nicht zuviel und nicht zu wenig zu essen. Wenn man ständig über das Essen nachdenkt, kann das ein großes Hindernis für den Fortschritt in der Meditation sein; denn es vernebelt nicht nur den Geist - Nahrung im Übermaß führt zu Trägheit, sowohl körperlich als auch geistig. Man sollte essen, um am Leben zu bleiben, statt am Leben zu bleiben, nur um zu essen. Während intensiver Meditationskurse essen Meditierende eine Hauptmahlzeit am Tag und haben dadurch keine negativen physischen Konsequenzen zu befürchten, wohingegen die positiven Effekte solcher Mäßigung sich in geistiger Klarheit und Freiheit von Besessenheit von Gedanken an das Essen.
Eine weitere Aktivität, die die Meditationspraxis beeinträchtigt, ist Unterhaltung - Filme ansehen, Musik hören und so weiter. Diese Beschäftigungen sind nicht an und für sich schädlich, können aber leicht in suchtartige Zustände führen, wenn man es übertreibt.
Sucht ist eine Form von ..., da sie chemische Prozesse im Gehirn involviert, welche klare Gedanken und geistige Klarheit verhindern. Da der Genuss, der von Unterhaltung herrührt, nur augenblicklich und somit unbefriedigend ist, während die Sucht und Obsession sich in das weitere Leben fortsetzen, sollte ein ernsthaft Meditierender entschlossen sein, den besten Nutzen aus der kurzen Zeit in diesem Leben zu ziehen: durch Kultivierung von Zufriedenheit und Genügsamkeit, anstatt sie mit nutzlosen Aktivitäten zu verschwenden, die auf lange Sicht nicht zu Glück und Frieden führen. Wenn man wünscht, wahres Glück zu finden, muss man daher seine Beschäftigung mit Unterhaltung und Amüsement zügeln. Beim Pflegen von Kontakten im Internet und ähnlichen Aktivitäten sollte man ebenso Maß halten.
Die dritte Aktivität, bei der man Maß halten muss, ist das Schlafen. Schlaf ist eine Sucht, die oft übersehen wird; die meisten Menschen merken nicht, wie sehr sie am Schlaf als Mittel hängen, der Realität zu entfliehen. Andere wiederum werden schlaflos, besessen von Gedanken, dass sie nicht "genug" Schlaf bekommen, was zu höheren Stressleveln und weiterer Schwierigkeit beim Einschlafen führt.
Durch die Meditationspraxis wird man finden, dass man weniger Schlaf braucht als zuvor, da der Geist ruhiger wird. Schlaflosigkeit ist kein Problem für Meditierende, da sie auch liegend meditieren können und ihren Geist von Stress freihalten. Menschen, die Schwierigkeiten beim Einschlafen haben, sollten sich darin trainieren, die Bauchdecke beim Heben und Senken zu beobachten, wobei sie die ganze Zeit über "heben", "senken" feststellen, wenn nötig die ganze Nacht lang. Sogar falls sie nicht in der Lage sind, dann einzuschlafen (was unwahrscheinlich ist, in Anbetracht des ruhigen Geisteszustands während der Meditation) werden sie sich ausgeruht fühlen, als hätten sie die ganze Nacht hindurch tief und fest geschlafen.
Schließlich ist es erwähnenswert, dass ein Meditierender, um wirkliche Ergebnisse in der Meditation zu erzielen, mindestens irgendeinen Zeitraum festlegen sollte, in dem er vollkommen sexuell enthaltsam bleibt, nicht bloß unmoralische sexuelle Verhaltensweisen vermeidend, da jegliche sexuelle Aktivität ohne Ausnahme berauschend ist und ein Hindernis zum Erreichen von geistiger Klarheit und Frieden darstellt.
Sobald man Tätigkeiten abgelegt hat, die die geistige Klarheit beeinträchtigen, kann man anfangen, meditatives Gewahrsein ins alltägliche Leben zu bringen. Es gibt zwei Wege, im Alltagserleben zu meditieren, und sie sollten wie folgt praktiziert werden.
Die erste Methode ist, die Aufmerksamkeit auf dem Körper zu halten, da er der am klarsten ersichtliche Aspekt der Erlebens ist. Wie in der formalen Meditation ist der Körper stets verfügbar zur Observation und dient damit als gelegenes Mittel, klares Gewahrsein der Realität im alltäglichen Leben zu kultivieren. Da der Körper sich generell in einer von vier Positionen befindet - gehen, stehen, sitzen oder liegen, kann man sich einfach seiner Position als Meditationsobjekt gewahr werden, um geistige Klarheit hervor zu bringen.
Während man geht, zum Beispiel, kann man mit jedem Schritt entweder "gehen, gehen, gehen, ..." notieren oder "links, rechts, links, rechts...". Wenn man steht, kann man auf die stehende Haltung achten und "stehen, stehen" bemerken; wenn man sitzt, "sitzen, sitzen", und wenn man liegt, "liegen, liegen". Auf diese Weise kann man jederzeit geistige Klarheit entwickeln, auch wenn man gerade nicht formale Meditation übt.
Desweiteren kann man dieselbe Technik auf jegliche kleine Bewegung des Körpers anwenden - indem man zum Beispiel beim Beugen oder Strecken der Glieder entsprechend "beugen" oder "strecken" bemerkt. Wenn man die Glieder bewegt, "bewegen". Wenn man sich dreht, "drehen", und so weiter. Jede Aktivität kann auf diese Weise zur Meditationsübung werden; wenn man die Zähne putzt, "putzen"; wenn man Nahrung kaut oder schluckt, "kauen, kauen", "schlucken, schlucken" und so weiter.
Während man kocht, putzt, Gymnasik macht, duscht, die Kleider wechselt, sogar auf der Toilette, kann man auf die stattfindenden Bewegungen des Körpers achten und so klares Gewahrsein der Realität zu allen Zeiten schaffen. Dies ist die erste Methode, durch die man die Meditationspraxis direkt ins gewöhnliche Leben integrieren kann und sollte.
Die zweite Methode ist Bemerkung der Sinne - Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen. Gewöhnliche Sinneserfahrung tendiert dazu, entweder Zuneigung oder Abneigung hervorzurufen; sie wird dadurch zur Ursache für Sucht oder Widerwillen und schließlich Leid, wenn sie nicht mit den eigenen Vorlieben im Einklang ist. Um den Geist klar und unbefangen zu halten, sollte man stets versuchen, klares Gewahrsein im Moment der Sinneserfahrung zu schaffen, anstatt dem Geist zu erlauben, die Erfahrung nach seinen gewohnheitsmäßigen Neigungen zu beurteilen. Wenn man sieht, sollte man es daher einfach als Sehen erkennen, indem man sich erinnert "sehen, sehen".
Wenn man ein Geräusch hört, sollte man ebenso "hören, hören" bemerken. Wenn man angenehme oder unangenehme Gerüche riecht, "riechen, riechen". Wenn man feste Nahrung oder Getränke schmeckt, sollte man, anstatt süchtig nach dem Geschmack zu werden oder davon abgestoßen zu sein, einfach "schmecken, schmecken" bemerken. Wenn Gefühle im Körper aufkommen, heiß oder kalt, hart oder weich, und so weiter, sollte man "fühlen, fühlen" oder "heiß", "kalt" und so weiter bemerken.
Indem man sich in dieser Weise übt, wird man fähig werden, das volle Spektrum der Erfahrung zu empfangen, ohne die Realität in Kategorien von "gut", "schlecht", "ich", "mein", "wir", "sie" und so weiter zu spalten. Im Ergebnis sind wahrer Frieden, Glück und Freiheit von Leid zu allen Zeiten möglich, in allen Situationen. Sobald man die wahre Natur der Realität versteht, wird der Geist aufhören, in Reaktion auf die Sinnesobjekte mehr aus ihnen zu machen, als sie wirklich sind, und wird frei werden von aller Sucht und Aversion, ebenso wie ein fliegender Vogel keinen Ast braucht, um sich festzuhalten.
Dies ist also eine grundlegende Anleitung, Meditation im Alltagsleben zu praktizieren, wobei man die Meditationsübung direkt ins Leben integriert, auch wenn man gerade nicht formal meditiert. Über diese zwei Methoden hinaus kann man auch jedes der Objekte aus dem ersten Kapitel anwenden - Schmerz, Gedanken oder Emotionen. Die Techniken, die in diesem Kapitel diskutiert wurden, sollten als zusätzliches Mittel gesehen werden, die Meditationspraxis zu einer kontinuierlichen Erfahrung zu machen, wobei man über sich selbst und die Realität zu allen Zeiten lernt.
Dies beschließt die grundlegende Instruktion darüber, wie man meditiert. Merke dir, dass kein Buch, egal wie detailliert es sein mag, ernsthafte und eifrige Praxis der Lehre selbst ersetzen kann. Man mag alle weisen Bücher auswendig lernen, die je geschrieben wurden, und immer noch nicht besser dran sein als ein Kuhhirte, der die Herde anderer bewacht, sollte man nicht entsprechend üben.
Wenn man andererseits die grundlegenden Lehren in einem Buch wie diesem als ausreichendes theoretisches Wissen akzeptiert und sie entsprechend ernsthaft in die Tat umsetzt, kann man sich gewiss sein, dieselben Resultate zu erzielen wie zahllose andere sie ebenso erreicht haben - Frieden, Glück und wahre Freiheit vom Leiden.
Danke ein letztes Mal, dass Sie sich die Zeit genommen haben, diese kurze Einführung in die Meditation zu lesen, und noch einmal wünsche ich aufrichtig, dass diese Anleitung Frieden, Glück und Freiheit von Leid für Sie und alle Wesen bringt, die mit Ihnen in Kontakt kommen.
Sollten Sie auf diesen Seiten irgendetwas mangelhaft oder unklar finden, oder sollten Sie detailliertere oder spezifischere Anweisungen in der Meditationspraxis suchen, sind Sie willkommen, mich über mein Weblog zu kontaktieren:
http://yuttadhammo.sirimangalo.org/Fußnoten:
1. Diese fünf Verhaltensweisen korrespondieren mit den fünf buddhistischen moralischen Grundsätzen.
2. Das folgende entspricht den acht moralischen Regeln, die buddhistische Meditierende normalerweise an Feiertagen oder während intensiver Meditationskurse auf sich nehmen: die drei folgenden Regeln werden zusätzlich zu den fünf vorher genannten aufgenommen, und darüber hinaus vollständige sexuelle Abstinenz.