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Die Sitten der Edlen

Die Sitten der Edlen

Summary:

Die Sitten der Edlen

von

Ehrwürdigen Thanissaro Bhikkhu

Übersetzung ins Deutsche von:

Lothar Schenk

Alternative Übersetzung: Die Gepflogenheiten der Noblen von jb

Im ganzen Verlauf seiner Geschichte hat sich der Buddhismus als zivilisierende Kraft ausgewirkt. Seine Aussagen über Karma, beispielsweise - das Prinzip, dass absichtliche Handlungen immer Folgen nach sich ziehen - lehrten vielen Gesellschaften Moral und Mitgefühl. Aber auf einer tieferen Ebene hat der Buddhismus stets in einem grenzübergreifenden Spagat Zivilisation und Wildnis miteinander verbunden. Der Buddha selbst erlangte im Wald die Erwachung, im Wald hielt er seine erste Rede, und im Wald verschied er. Die geistigen Fähigkeiten, die er brauchte, um physisch und psychisch überleben zu können, während er sich unbewaffnet in wildes Gebiet begab, waren auch der Schlüssel zu seiner Entdeckung des Dhamma. Sie umfassten Flexibilität, Entschlossenheit und Wachsamkeit; Ehrlichkeit sich selbst gegenüber und Umsicht; Durchhaltevermögen angesichts von Einsamkeit; Mut und Erfindungsgabe angesichts äußerer Gefahren; Mitgefühl und Respekt gegenüber den anderen Waldbewohnern. Diese Eigenschaften bildeten die „Heimatkultur“ des Dhamma.

Indem der Buddhismus sich ausbreitete und an unterschiedliche Gesellschaftsstrukturen anpasste, kam es von Zeit zu Zeit bei einigen der Übenden zu dem Gefühl, dass die ursprüngliche Botschaft des Dhamma verwässert worden war. Also kehrten sie in die Wildnis zurück, um seine Heimatkultur wiederzubeleben. Manche Wildnistraditionen sind auch heute noch lebendig, vor allem in Sri Lanka und den Ländern Südostasiens, die sich zum Theravada bekennen. Dort wandern immer noch asketische Bettelmönche durch die verbleibenden Regenwälder, auf der Suche nach Erwachung in eben jener Umgebung, in der auch der Buddha selbst Erwachung fand. Eine dieser Wildnistraditionen, diejenige, welche die größte Zahl westlicher Schüler angezogen hat und dabei ist, im Westen Wurzeln zu schlagen, ist die Kammatthana-(Meditations-)Waldtradition von Thailand.

Die Kammatthana-Tradition wurde von Ajahn Mann (engl.: Mun) Bhuridatto in den frühen Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts begründet. Ajahn Mann praktizierte zurückgezogen und streng. Er hielt sich gewissenhaft an den Vinaya (den disziplinarischen Mönchskodex) und beachtete auch viele der heute als die dreizehn klassischen Dhutanga -(Askese-)Praktiken bekannten Regeln, wie beispielsweise sich nur von Almosenspeise zu ernähren, sich in Kutten aus weggeworfenen Lumpen zu kleiden, seine Wohnstatt im Wald zu haben, oder nur ein Mahl am Tag zu sich zu nehmen. Indem er abgeschiedene Orte in den wilden Gegenden von Thailand und Laos als Aufenthaltsort wählte, mied er die Verantwortlichkeiten des niedergelassenen Mönchslebens und verbrachte bei Tag und Nacht viele Stunden in der Meditation. Trotz seiner abgesonderten Wesensart zog er eine große Anhängerschaft von Schülern an, die bereit waren, die Härten des Waldlebens auf sich zu nehmen, um bei ihm zu lernen.

Er hatte auch seine Widersacher, die ihm vorwarfen, nicht den traditionellen buddhistischen Bräuchen Thailands zu folgen. Gewöhnlich erwiderte er darauf, dass er nicht daran interessiert sei, sich den Bräuchen irgend einer bestimmten Gesellschaft zu unterwerfen - da diese definitionsgemäß ja die Bräuche von Leuten mit Gier, Hass und Verblendung in ihren Herzen seien. Er war mehr daran interessiert, die Heimatkultur des Dhamma zu finden und zu befolgen, das, was er die Sitten der Edlen nannte: die Praktiken, die es dem Buddha und seinen Schülern überhaupt erst erlaubt hatten, die Erwachung zu erreichen. Dieser Ausdruck - die Sitten der Edlen - geht auf ein Vorkommnis in der Lebensgeschichte des Buddha zurück: nicht lange nach seiner Erwachung kehrte er in seine Heimatstadt zurück, um seiner Familie, die er sechs Jahre zuvor zurückgelassen hatte, den Dhamma zu lehren. Nachdem er die Nacht im Wald verbracht hatte, ging er bei Tagesanbruch in der Stadt auf Almosengang. Sein Vater, der König, bekam Kunde davon und suchte ihn umgehend auf, um ihn zu maßregeln. „Das ist eine Schande“, schimpfte der König. „Niemand aus unserer familiären Linie ist jemals betteln gegangen. Es verstößt gegen die Familiensitten.“

„Eure Hoheit“, antwortete der Buddha, „ich gehöre jetzt nicht mehr meiner familiären Linie an, sondern der Linie der Edlen. Deren Sitten befolge ich nun.“

Ajahn Mann widmete viele Jahre seines Lebens der Aufgabe, diese Sitten aufzuspüren. Im Jahr 1870 als Sohn von Reisbauern in der nordöstlichen Provinz Ubon geboren, wurde er 1892 in der Provinzhauptstadt als Mönch ordiniert. Zur Zeit seiner Ordination traten zwei Hauptarten von Buddhismus in Thailand auf. Die erste davon kann als Brauchtums-Buddhismus bezeichnet werden - Regeln und Riten, die im Laufe der Jahrhunderte ohne großen Bezug zum Pali-Kanon, wenn überhaupt, von Lehrer zu Lehrer weitergereicht worden waren. Hauptsächlich lehrten diese Gebräuche die Mönche, ein sesshaftes Leben in einem Dorfkloster zu führen und den Einheimischen als Ärzte oder Wahrsager zu dienen. Die Mönchsdisziplin wurde eher locker gehandhabt. Gelegentlich begaben sich Mönche auch auf eine „Dhutanga“ genannte Pilgerschaft, die aber wenig mit den klassischen Dhutanga-Praktiken gemein hatte. Es war stattdessen eher ein disziplinloses Sicherheitsventil für den angestauten Druck des sesshaften Lebens. Außerdem praktizierten Mönche und Laienanhänger Meditationsformen, die von dem im Pali-Kanon vorgezeichneten Weg von innerer Ruhe und Einsicht abwichen. Ihre Vichaa-aakhom, d.h. Spruchwissen, genannten Praktiken bestanden aus Initiationsriten und schamanistischen Beschwörungsformeln, wie etwa Schutzzauber und Erweckung magischer Kräfte. Nirvana erwähnten sie selten, außer als eine Entität, die man für die Zwecke schamanischer Riten heraufbeschwor.

Die zweite Art von Buddhismus, die es zu jener Zeit gab, war der Reform-Buddhismus, der sich auf den Pali-Kanon gründete und im Jahr 1820 von Prinz Mongkut ins Leben gerufen worden war, der später König Rama IV wurde (und noch später in dem Musical „Der König und ich“ dargestellt wurde). Bevor er den Thron bestieg, war Prinz Mongkut siebendundzwanzig Jahre lang als Mönch ordiniert. Nachdem er in seinen frühen Jahren als Mönch den Kanon studiert hatte, erfasste ihn große Entmutigung angesichts des mangelhaften Stands der Übungspraxis, den er um sich herum in den thailändischen Klöstern sah. Daher ließ er sich bei den Mon ein zweites Mal ordinieren - einer ethnischen Gruppe, die auf beiden Seiten entlang der thailändisch-burmesischen Grenze lebte und jenseits des Flusses auf der anderen Seite von Bangkok einige Dörfer besiedelte - und studierte den Vinaya und die klassischen Dhutanga-Praktiken unter einem Angehörigen der Mon als Lehrer. Später beschwerte sich sein Bruder, König Rama III, dass es für ein Mitglied der königlichen Familie eine Schande sei, sich einer ethnischen Minderheit anzuschließen, und erbaute daraufhin für den prinzlichen Mönch auf der zu Bangkok gehörenden Seite des Flusses ein Kloster. Dort scharte Mongkut eine kleine, aber starke Anhängerschaft aus ähnlich denkenden Mönchen und Laienanhängern um sich, und somit war die Dhammayut-Bewegung (wörtlich: im Einklang mit dem Dhamma) geboren.

In ihren frühen Jahren war die Dhammayut-Bewegung eine informelle Gruppierung, die sich Pali-Studien widmete und sich dabei vor allem auf den Vinaya, die klassischen Dhutanga-Praktiken, eine auf Vernunft gegründete Auslegung des Dhamma und die Wiederbelebung von im Pali-Kanon gelehrten Meditationstechniken, wie etwa die Vergegenwärtigung des Buddha und die Achtsamkeit auf den Körper, konzentrierte. Kein Mitglied der Bewegung konnte allerdings den Nachweis erbringen, dass die Lehren des Pali-Kanon tatsächlich zur Erleuchtung führen. Mongkut selbst war überzeugt davon, dass der Weg zum Nirvana nicht mehr offenstand, aber er hatte das Gefühl, dass es bereits ein großer Gewinn sei, wenn man wenigstens die äußeren Formen der frühesten buddhistischen Traditionen wiederbelebte. Indem er ein formales Bodhisattva-Gelübde auf sich nahm, widmete er das aus seinen Bemühungen erwachsende Verdienst einer zukünftigen Buddhaschaft. Viele seiner Schüler nahmen ebenfalls Gelübde auf sich, in der Hoffnung, Schüler jenes zukünftigen Buddhas zu werden.

Nach dem Tod seines Bruders im Jahr 1851 verließ Mongkut den Mönchsorden und bestieg den Thron als Rama IV. Er hatte nun die Macht, dem Rest des thailändischen Sangha seine Reformen aufzuzwingen, entschied sich aber dagegen. Stattdessen unterstützte er im Stillen den Aufbau neuer Dhammayut-Zentren in der Hauptstadt und den Provinzen, und so kam es, dass es zu Zeiten von Ajahn Mann eine Handvoll Dhammayut-Klöster in Ubon gab.

Da Ajahn Mann das Gefühl hatte, dass der Brauchtums-Buddhismus wenig zu bieten hatte, schloss er sich dem Dhammayut-Orden an, mit einem Schüler von Prinz Mongkut als seinem Präzeptor. Im Gegensatz zu vielen, die damals dem Orden beitraten, war er nicht an dem höheren gesellschaftlichen Status interessiert, den ihm akademische Studien und klerikale Würden bringen würden. Vielmehr hatte sein Leben als Bauernsohn bei ihm einen tiefen Eindruck von den Leiden hinterlassen, die dem Kreislauf von Leben und Tod innewohnen, und sein einziges Ziel war es, einen Ausweg aus diesem Kreislauf zu finden. Folgerichtig verließ er bald den Tempel seines Präzeptors und die dort herrschende Schriftgelehrsamkeit und schloss sich in einem kleinen Meditationskloster am Stadtrand einem Lehrer namens Ajahn Sao Kantasilo (1861-1941) an.

Ajahn Sao war im Dhammayut-Orden insofern ungewöhnlich als er keine Ambitionen als Schriftgelehrter hegte, sondern sich stattdessen voll der Meditationspraxis widmete. Er schulte Ajahn Mann vor dem Hintergrund der Gefahren und der Einsamkeit der Wildnis in strikter Disziplin und den kanonischen Meditationspraktiken. Er konnte zwar nicht garantieren, dass diese Übungspraxis zu den edlen Errungenschaften führen würde, aber er war überzeugt, dass sie in die richtige Richtung ging.

Nach mehreren Jahren der Wanderschaft mit Ajahn Sao brach Ajahn Mann alleine auf, um nach einem Lehrer zu suchen, der ihm den Weg zu den edlen Errungenschaften mit Gewissheit zu weisen vermochte. Seine Suche dauerte nahezu zwei Jahrzehnte und war mit unzähligen Strapazen verbunden, während er zu Fuss durch die Dschungel von Laos, Zentralthailand und Burma streifte. Nach und nach wurde ihm klar, dass er wohl dem Beispiel des Buddha folgen und die Wildnis selbst zum Lehrer nehmen musste, nicht einfach nur um sich den Gegebenheiten der Natur anzupassen - denn die Natur ist ja Samsara selbst -, sondern um den Durchbruch zu Wahrheiten zu erlangen, welche diese Gegebenheiten völlig überstiegen. Wenn er den Weg finden wollte, der über Altern, Krankheit und Tod hinausführte, musste er die Lektionen einer Umwelt lernen, in der Altern, Krankheit und Tod in scharfem Relief hervortraten. Gleichzeitig gewann er durch seine Treffen mit anderen Mönchen im Wald die Überzeugung, dass die Lehren der Wildnis zu lernen mehr beinhaltete als einfach nur die für das physische Überleben notwendigen Fähigkeiten zu meistern. Er würde auch eine scharfe Auffassungsgabe entwickeln müssen, um sich bei seiner Meditation nicht zum Beschreiten von in Sackgassen mündenden Nebenwegen verführen zu lassen. Der Unermesslichkeit seiner Aufgabe zutiefst bewusst, kehrte er zu einer Gebirgsgegend in Zentralthailand zurück und ließ sich alleine in einer Höhle nieder.

Im Verlauf seiner langen Lehrzeit in der Wildnis fand Ajahn Mann heraus, dass der Weg zum Nirvana - im Gegensatz zu den Annahmen im Reform- und Brauchtumsbuddhismus - nicht versperrt war. Der wahre Dhamma war immer noch zu finden, nicht in alten Gebräuchen und Texten, sondern in einem wohlgeschulten Herz und Gemüt. Die Texte waren nicht mehr und nicht weniger als Hinweise, wie man üben sollte. Die Regeln des Vinaya stellten nicht einfach nur äußerliche Gebräuche dar, sondern spielten vielmehr eine wichtige Rolle für das physische und psychische Überleben. Was die Dhamma-Texte betraf, ging es bei der Lehrausübung nicht einfach nur darum, ihre Aussagen nachzuvollziehen. Durch Lesen der Texte und Nachdenken darüber war kein angemessenes Verständnis dessen, was sie bedeuteten, zu erzielen - und daher zählte dies auch nicht als ausreichender Respektsbeweis ihnen gegenüber. Den Texten wirklichen Respekt entgegenzubringen bedeutete, sie als Herausforderung aufzufassen: die darin enthaltenen Lehren ernsthaft auf die Probe zu stellen, um herauszufinden, ob sie tatsächlich stimmen. Im Verlauf der Überprüfung der Lehren ergab es sich immer wieder, dass der Geist zu völlig unerwarteten Erkenntnissen gelangte, die in den Texten nicht erwähnt wurden. Auch diese mussten ihrerseits auf den Prüfstand gestellt werden, so dass man durch Versuch und Irrtum allmählich immer mehr lernte, bis an den Punkt einer tatsächlichen edlen Errungenschaft. Erst dann, so pflegte Ajahn Mann zu sagen, verstand man den Dhamma.

Diese Haltung gegenüber dem Dhamma stellt eine Parallele zu dem dar, was in den Kulturen des Altertums „Kriegerwissen“ genannt wurde - Wissen, das vom Entwickeln fähigen Verhaltens unmittelbar in schwierigen Situationen herrührt - im Gegensatz zum „Schreiberwissen“, das Leute, die sich in relativ sicheren und bequemen Verhältnissen befinden, in Worte gefasst niederschreiben können. Selbstverständlich müssen sich auch Krieger bei ihrer Ausbildung der Sprache bedienen, aber ein Text gilt in ihren Augen nur dann als stichhaltig, wenn seine Aussagen sich in der Praxis bewähren. Der Pali-Kanon selbst ermutigt zu dieser Haltung, wenn er zitiert, wie der Buddha seine Tante lehrt: „Was die Lehren betrifft, von denen du erkennen kannst: 'Diese Lehren führen zur Abwendung von der Gier und nicht zur Gier, führen zur Loslösung und nicht zur Bindung, zur Abschichtung und nicht zur Aufschichtung, zur Bescheidenheit und nicht zur Unbescheidenheit, zur Genügsamkeit und nicht zur Ungenügsamkeit, zur Abgeschiedenheit und nicht zur Abhängigkeit von Gesellschaft, zum Durchhalten und nicht zur Trägheit, zum Nicht-Zur-Last-Fallen und nicht zum Zur-Last-Fallen', von denen magst du als sicher annehmen: 'Das ist der Dhamma, das ist der Vinaya, das ist des Lehrers Weisung.'“

Demzufolge besteht die letztgültige Autorität bei der Beurteilung einer Lehraussage nicht darin, ob sie in irgendwelchen Texten zu finden ist. Sie liegt in der unnachgiebigen Wahrhaftigkeit einer jeden Person bei der Erprobung des Dhamma und der sorgfältigen Sichtung der Ergebnisse.

Nachdem Ajahn Mann an den Punkt gelangt war, wo er garantieren konnte, dass der Weg zu den edlen Errungenschaften immer noch offenstand, kehrte er in den Nordosten zurück, um Ajaan Sao darüber in Kenntnis zu setzen und danach seine Wanderschaft wiederaufzunehmen. Nach und nach scharte sich eine unorthodoxe Gefolgschaft um ihn. Leute, die ihm begegneten, waren von seiner Haltung und seinen Lehren beeindruckt, die so ganz anders waren als das, was sie von anderen Mönchen kannten. Sie waren überzeugt davon, dass er in allem, was er tat und sagte, den Dhamma und Vinaya verkörperte. Bei der Unterrichtung seiner Schüler verfolgte er als Lehrer die Herangehensweise des Kriegers. Anstatt einfach nur Kenntnisse in Worten zu vermitteln, setzte er sie Situationen aus, in denen sie die geistigen und charakterlichen Fähigkeiten entwickeln mussten, die nötig waren, um den Kampf mit ihren eigenen unguten Eigenschaften zu überstehen. Anstatt sich darauf zu beschränken, allein eine Meditationstechnik zu lehren, brachte er ihnen eine vollständige Palette von Fähigkeiten bei - wie ein Schüler sagte: „alles vom Auswaschen von Spucknäpfen an aufwärts“ - und schickte sie dann in die Wildnis.

In eben dieser Zeit nach Ajahn Manns Rückkehr in den Nordosten begann eine dritte, von Bangkok ausgehende Art von Buddhismus - der Staatsbuddhismus - Einfluss auf sein Leben zu nehmen. In dem Bemühen, imperialistischen Bedrohungen durch England und Frankreich eine einheitliche Front entgegenzustellen, wollte Rama V (1868-1910) sein Land aus einem losen Feudalsystem in einen zentralisierten Nationalstaat überführen. Als Teil seines Programms verordneten er und seine Brüder - von denen einer als Mönch ordiniert war - eine Reihe von religiösen Reformen, die das Vordringen christlicher Missionare verhindern sollten. Von britischen Hauslehrern erzogen und ausgebildet, erschufen sie eine neue Laufbahn für Mönche, die den Dhamma und Vinaya viktorianischen Vorstellungen von Vernunft und Zweckmäßigkeit unterwarf. Ihre neue Version des Vinaya, zum Beispiel, war ein Kompromiss zwischen Brauchtums- und Reformbuddhismus, der darauf angelegt war, christliche Vorwürfe, dass Mönche unzuverlässig und faul seien, zu entkräften. Die Mönche wurden angewiesen, ihre Wanderungen aufzugeben, sich in anerkannten Klöstern niederzulassen und die neue staatlich verordnete Laufbahn zu akzeptieren. Da die Mönche des Dhammayut-Ordens in jener Zeit in Thailand die am besten ausgebildeten waren - und auch die engsten Beziehungen zur königlichen Familie hatten - wurden sie dazu verpflichtet, die staatlichen Belange in den entlegenen Regionen des Landes voranzutreiben.

Im Jahr 1928 nahm eine gegenüber der Meditation und im Wald herumstreifenden Mönchen nicht eben wohlgesonnene Autorität des Dhammayut-Ordens die religiösen Angelegenheiten des Nordostens in ihre Hand. In dem Versuch, Ajahn Manns Anhängerschaft zu bändigen, befahl er ihnen, Klöster zu errichten und bei der Ausbreitung des Regierungsprogramms behilflich zu sein. Daraufhin machten sich Ajahn Mann und eine Handvoll seiner Schüler nach Norden auf, wo es noch möglich war, sich frei zu bewegen. In den frühen Dreißigern des 20. Jahrhunderts wurde Ajahn Mann zum Abt eines bedeutenden Klosters in der Stadt Chieng Mai bestellt, floh aber noch vor Anbruch des folgenden Tages aus jenem Ort. Erst in den allerletzten Jahren seines Lebens kehrte er zurück, um sich wieder im Nordosten niederzulassen, nachdem die klerikalen Autoritäten vor Ort seiner Art des Praktizierens wieder etwas gewogener geworden waren. Er befolgte viele seiner Dhutanga-Praktiken weiterhin bis zu seinem Tod im Jahr 1949.

Erst in den 1950er Jahren gewann die von ihm begründete Bewegung in Bangkok ihre Anerkennung, und es dauerte noch bis in die 1970er, bis sie auch auf nationaler Ebene Bedeutung erlangte. Diese Entwicklung fiel mit einem weitverbreiteten Vertrauensverlust in Staatsmönche zusammen, von denen viele wenig mehr als Bürokraten in Mönchsroben waren. Dies führte dazu, dass Kammatthana-Mönche in den Augen vieler Mönchs- und Laienanhänger eine stabile und vertrauenswürdige Verkörperung des Dhamma in einer Welt rasend schneller Modernisierung darstellten.

Die Geschichte des Buddhismus hat gezeigt, dass Wildnistraditionen einen sehr schnellen Lebenszyklus durchlaufen. In dem Maße, in dem eine an Schwung verliert, erwächst oft eine neue an deren Stelle. Doch mit der flächendeckenden Vernichtung der thailändischen Wälder im kurzen Zeitraum der letzten Jahrzehnte mag es durchaus sein, dass die Kammatthana-Tradition die letzte große Waldtradition sein wird, die Thailand hervorbringen wird. Zum Glück haben wir im Westen rechtzeitig genug von ihr erfahren, um Lehren zu sammeln, die uns dabei helfen werden, die Sitten der Edlen auf westlichem Boden anzusiedeln und zu kultivieren und unsere eigenen authentischen Wildnistraditionen zu begründen.

Vielleicht die wichtigste dieser Lehren betrifft die Rolle, welche die Wildnis beim Prüfen und Berichtigen von Strömungen spielt, die sich unter in Städten und Metropolen lebenden Buddhisten ausbilden. Die Geschichte der Kammatthana-Tradition straft die leichtfertige Auffassung Lüge, die besagt, dass der Buddhismus einfach dadurch überlebt habe, dass er sich an seine jeweilige kulturelle Umgebung angepasst habe. Das Überleben des Buddhismus und das Überleben des Dhamma sind zwei verschiedene Dinge. Den Dhamma haben Menschen wie Ajahn Mann am Leben erhalten - Menschen, die gewillt waren, jedes erforderliche Opfer zu bringen, um den Dhamma gemäß seinen eigenen Bedingungen zu entdecken und auszuüben. Selbstverständlich steht es den Menschen seit jeher frei, sich in den buddhistischen Traditionen zu engagieren, wie immer sie es für richtig halten, aber diejenigen, die am meisten von einem solchen Engagement gewonnen haben, sind jene, die nicht den Buddhismus so umgeformt haben, dass er ihren Vorlieben entspricht, sondern stattdessen sich selbst so umgeformt haben, dass sie den Sitten und Überlieferungen der Edlen entsprechen. Diese Sitten aufzuspüren ist nicht leicht angesichts der verwirrenden Vielfalt an Traditionen, welche Buddhisten im Laufe der Jahrhunderte hervorgebracht haben. Um sie zu prüfen ist jeder einzelne auf seine oder ihre Fähigkeit zu unnachgiebiger Wahrhaftigkeit, Integrität und Einsichtsvermögen zurückverwiesen. Garantien, deren man sich einfach nur zu bedienen bräuchte, gibt es nicht. Und vielleicht ist genau das ein Maßstab für den wahren Wert des Dhamma. Nur Menschen mit wirklicher Integrität können ihn wahrhaft begreifen. Wie Ajahn Lee, einer von Ajahn Manns Schülern, es einmal sagte: „Wenn jemand den Lehren des Buddha nicht mit Wahrhaftigkeit gegenübertritt, werden die Lehren des Buddha ihm gegenüber auch nicht wahrhaftig sein - und derjenige wird nicht fähig sein, zu erkennen, was die wahren Lehren des Buddha sind.“


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de/lib/authors/thanissaro/customs.txt · Zuletzt geändert: 2021/04/18 11:03 von Johann